Donnerstag, 24. Juli 2014

13. Depesche: Läuterung am Tourmalet



Im Zentrum der heutigen Etappe steht ohne Zweifel der Col de Tourmalet. Der Anstieg in den Pyrenäen war der erste Berg jenseits der 2000er, der in eine Touretappe aufgenommen wurde. Und das schon im Jahr 1910. Damal war das noch unzugängliches Gebiet, die Strecke nicht mehr als eine raue Schotterpiste. Tour - Gründer Henri Desgrange mutmaßte damals: "Es wird Blut an unseren Händen kleben". Zum Teil wurden die Räder an den steilen und unwegsamen Stellen geschoben, für Fahrer, die nicht abstiegen, gab es eine Sonderprämie.

Ich selbst bin über den Tourmalet vor fast 20 Jahren mal mit dem Auto gefahren. Es war auf der Runde, die ich gestern schon erwähnte: Die letzte große Schleife eines alten Opel Kadett C, der Rote Bochumer mit seinem kleinen Nähmaschinenmotor war unermüdlich auf seiner Runde durch Frankreich und Spanien, die wir damals unternahmen. Der Sinn war eigentlich, möglichst viel unterwegs zu sein, die Frontscheibe war wie eine Leinwand im Autokino, auf der die Landschaft als tagelanges Roadmovie vorbeirauschte.



Wir hatten die spanisch-französische Grenze bei Saint-Jean-de-Luz überquert, dort am Hafen gegrillten Thunfisch und Sardinen gegessen, ein paar Kilometer nördlich in der Bucht von Biarritz gebadet und sind dann am Nordrand des Gebirges bis nach Lourdes gefahren. Dort herrscht der Wahnsinn. Aber sowas zieht ja an. Und so haben wir dann einen nachmittag in diesem marienverrückten Ort verbracht. Es ist der drittgrößte katholische Wallfahrtsort weltweit, sechs Millionen Menschen besuchen jährlich die Stadt. Infrastruktur und Dienstleistungsangebot sind vollständig an den stetigen Pilger- und Besucherzustrom angepaßt. Über der kleinen Höhle, in der im Jahr 1858 die kleine Bernadette Soubirous ihre Marienerscheinungen hatte, wurde eine riesige Kirche errichtet, drumherum der Site des Sanctuaires, der Heilige Bezirk. In der Innenstadt bieten mehrere Magasin Catholique unglaubliche Menge an Glaubensdevotionalien an.



Kern des ganzen Geschäftsmodells sind natürlich die Wunderheilungen. Hier arbeiten Priester und Ärzte Hand in Hand. Auf dem Gelände gibt es seit 120 Jahren ein eigens eingerichtetes medizinsches Büro, dem sämtliche Heilungen gemeldet werden. Zusammen mit dem Klerus wird dann geprüft. Bisher sind von gemeldeten 7000 Heilungen nur 67 als offizielle Wunderheilungen im Sinne der katholischen Kirche anerkannt worden. Hier ist das in aller Ausführlichkeit dokumentiert (klick). Die endlose Prozession der altertümlichen Rollstühle und Bahren, gezogen von Schwestern in Tracht, mutet bizarr an. Die Kranken werden in Badehäusern in das "heilige Wasser" gelegt, über allem aus Lautsprechern liturgische Musik in Endlosschleife. Unser Reisebuch damal war das Tucholskys Pyrenäenbuch, großartige Lektüre, auch Lourdes beschreibt er "die Stadt der kleinen Leute...".

Weil es so schön passt, hier zwei Auszüge:

"Sei es, dass sie Furcht haben, die heilige Quelle könne nicht so viel hergeben, sei es aus diesem seltsamen und verständlichen Glauben heraus, Wasser, über die so viele Gebete hingebraust sind, wirke stärker als frisches. Dieses Wasser wird nur zweimal am Tage gewechselt, nachmittags und abends. Hunderte baden also in demselben Bad und das Wasser ist fettig und bleigrau. Wunden, Eiter, Schorf, alles wird hineingetaucht. Nur wenn sich jemand vergisst, erneuern sie es sofort. Niemand schrickt zurück; vielleicht wissen sie es nicht."

"Lourdes ist ein Anachronismus. Diese organisierten Pilgerzüge, diese elektrisch erleuchtete Kirche, die aussieht wie ein Vergnügungslokal auf dem Montmartre, der grauenhafte Schund, der da vorherrscht, nicht nur in den dummen Läden, sondern in den Kirchen selbst, diese unfromm bestellten Altäre, Schreine, Ornamente, Decken und Beleuchtungskörper."

Ich entschloss mich seinerzeit zum Kauf einer kleinen (Marien)flasche und füllte daraus etwas Wasser in den Kühler des Roten Bochumers...




Nach einigen Stunden war die Flucht von dort geboten, wir suchten Heilung und Läuterung lieber nicht bei der nächtlichen Fackelprozession, sondern in der Höheneinsamkeit der Berge. Spät am Nachmittag ging es südlich auf die D 821 durch das immer enger werdende Tal hinauf in Richtung Tourmalet (die Tour heute überfährt den Pass in umgekehrter Richtung von La Mongie rauf). In einem kleine Seitental kurz vor der Passhöhe hielten wir dann an, um im Auto zu übernachten. Es dämmerte schon und die Kälte kam, schnell wurde der Gaskocher für ein paar Nudeln angeworfen. Der Wein dazu ? Ich weiß es nicht mehr, wahrscheinlich allereinfachster Roter. Man war damals unterwegs "on a budget".
Am nächsten Morgen dann ein unvergessliches Erlebnis. Über den scharfgezackten Pyrenäenkämmen zog die Sonne auf. In einem weißen Renault Kastenwagen erschien ein Schäfer mit Baskenmütze und stieß lauthals kehlige Schreie in Richtung der Felswände heraus. Glockengebimmel kündigte dann aus der Ferne die Ankunft seiner Herde an. Schafe rannten auf uns zu, tranken und leckten das auf Steinen ausgebreitete Salz.



Weinappellationen gibt es zu Füßen der Pyrenäen einige. Ganz im Westen im Baskenland Irouléguy, dann Béarn und Jurancon südlich von Pau. Genau durch diese für Weißweine bekannte AOC fährt das Feld im Moment. Da fällt relativ viel Niederschlag und es ist auch gar nicht so heiß, wie man vermuten würde. Das ergibt im trockenen Bereich frische Weine, die auch deutsche Rieslingtrinker ansprechen müßten. Außerdem gibt es natürlich noch die Edelsüßen aus dem Jurancon, durchaus eigenständig, in Frankreich aber auch beliebt als günstiger Sauternes-Ersatz. Verkostet wurde dazu in den letzten Jahren, aktuell hatte ich, genau wie der Priorat-Hammer dazu leider nix im Hause...




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